Montag, 23. November 2009

Marshall McLuhan – Das Medium ist die Botschaft (Johannes)

Die hochgradig konstituierende Bedeutung, die Marshall McLuhans 1964 erschienenes Buch „Die Magischen Kanäle“ für die Herausbildung der Medienwissenschaft als eigenständiger geisteswissenschaftlicher Disziplin besitzt, so wie wir sie heute kennen und studieren können, ergibt sich dem Leser vermutlich bereits beim ersten Blick auf den Untertitel „Understanding Media“, der im englischen Original der eigentliche Buchtitel ist. In diesem kurzen Beitrag soll ein Überblick über McLuhans Grundthese „Das Medium ist die Botschaft“ gegeben werden, der These mit der das erste Kapitel des besagten Buches überschrieben ist und auf dem seine weiteren Überlegungen fußen. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass dies nicht mehr als eine Einführung in McLuhans Theorien sein kann und soll und vermutlich auch die eine oder andere Frage aufwirft, die sich aus der Lektüre dieses ersten Kapitels allein noch nicht beantworten lässt. Weitere wichtige Thesen McLuhans, beispielsweise der Unterschied zwischen „heißen“ und „kalten“ Medien, werden hier nicht besprochen.

An den Anfang seiner Argumentation stellt McLuhan mit der Überschrift des ersten Kapitels die Aussage: „Das Medium ist die Botschaft“ (engl. „The Medium Is the Message“). Dieses erste Kapitel beruht auf der Zielsetzung, dass er anhand verschiedener Beispiele das gesellschaftlich weit verbreitete Missverständnis, den „Inhalt“ (engl.: „content“) eines Mediums für das Medium selbst zu halten, erläutern möchte. Zum Verständnis seiner Ausführungen ist es wichtig, die Bedeutung des Begriffs „Medium“ zu verstehen. McLuhans Begriff lässt sich in wenigen Kernthesen grob zusammenfassen:

  1. Ein Medium ist eine Ausweitung (oder Erweiterung) unserer eigenen Person.
  2. Die Auswirkung, also die „Botschaft“ die ein Medium darstellt, ergibt sich aus der Veränderung des Maßstabs, des Tempos oder des Schemas, die das Medium den Menschen bringt, nicht aus seinem „Inhalt“, denn …
  3. … der „Inhalt“ eines jeden Mediums ist wiederum ein anderes Medium.

Ich werde nun versuchen, diese noch recht abstrakten Thesen zu erläutern. In der ersten These erhält zunächst der Untertitel der englischen Originalausgabe („The Extensions of Man“) seinen Einzug in die deutsche Übersetzung. Dieser wurde im Titel der Übersetzung leider unterschlagen. McLuhans Medienbegriff steht in Tradition der Prothesentheorie, die davon ausgeht, dass sämtliche Erfindungen des Menschen lediglich Prothesen, also Erweiterungen der menschlichen Gliedmaßen, Organe und Sinne darstellen. So ist der Hammer eine Erweiterung der Faust, das Fernglas eine Erweiterung des Auges oder des Sehsinns und der elektrische Strom stellt eine Erweiterung unseres Nervensystems dar, um einige simple Beispiele zu nennen.

Im Begriff „Erweiterung“ wird auch deutlich, dass jedes Medium lediglich den Wirkungsgrad von schon vorhandenen Funktionen des Menschen erhöht oder beschleunigt, sprich erweitert, aber keine neue Funktion einführt. Die Faust ist schon existent, der Hammer erhöht nur ihre Kraft und das Fernglas ermöglicht es uns lediglich, Dinge deutlicher zu erkennen, die sich am äußersten Rande des Sehfeldes unseres Auges befinden. Der elektrische Strom erweitert den Wirkungsbereich des (elektrochemischen) Nervenimpulses, der von meinem Gehirn zu meinem Finger übertragen wird, um einen Lichtschalter zu betätigen, der wiederum den elektrischen Stromkreis einer Leitung schließt, sodass eine Glühbirne schließlich den Raum erhellt. Keine dieser Funktionserweiterungen führt also eine völlig neue Funktion ein.

So wird auch deutlich, dass es die sozialen und psychischen Auswirkungen auf uns sind, die die „Botschaft“ eines Mediums darstellen, nicht sein „Inhalt“. McLuhan erwähnt hierzu die Erfindung der Eisenbahn, die den Transport von Gütern nicht eingeführt, sondern lediglich sein Ausmaß erweitert habe, und dies unabhängig von der Fracht, die der Zug geladen habe und unabhängig von der Gegend in der er führe. Die Fracht dieses Zuges wäre hierbei als der „Inhalt“ des Mediums zu betrachten, der aber keinerlei Bedeutung für das Medium an sich, also seine „Botschaft“ hat.

Aus diesen Thesen ergibt sich nun der weit verbreitete Fehler, der uns bei der Analyse und Betrachtung von Medien und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft unterlaufen kann. Die Tatsache nämlich, dass ein Medium immer ein anderes Medium enthält, sprich zum „Inhalt“ hat, macht uns blind für das Medium, das wir eigentlich untersuchen wollen, da wir uns, anstatt auf das Medium selber, auf seinen „Inhalt“, also auf das eine Ebene tiefer liegende Medium konzentrieren. Dies wird besonders deutlich am Beispiel des elektrischen Lichts. Das elektrische Licht ist für McLuhan reine Information, da es für sich allein inhaltslos ist. Sobald es aber benutzt wird, um beispielsweise einen Reklametext auszustrahlen, wird es zum Medium. In diesem Fall nehmen wir das Licht aber nicht als solches wahr, sondern analysieren stattdessen vermutlich den Werbetext, also ein vollkommen anderes Medium, dass den „Inhalt“ des Mediums Licht bildet. Wir würden auf diese Weise nie Aussagen über das Licht als Medium machen, sondern nur über das Medium Werbetext sprechen. Genauso hat jedes andere Medium immer ein weiteres zum Inhalt. McLuhan gibt weitere Beispiele für diese Schachtelungen: „Der Inhalt der Schrift ist Sprache, […] das geschriebene Wort [ist] Inhalt des Buchdrucks […] und der Druck [ist] wieder Inhalt der Sprache“ und später: „Der Inhalt eines Films ist ein Roman, ein Schauspiel oder eine Oper“.

Interessant ist außerdem, dass ein Medium, so McLuhan, immer dann sichtbar wird, wenn es den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht. So beschreibt er das Phänomen, dass die (eigentlich unsichtbaren) Schallwellen knapp bevor ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht, kurz sichtbar werden. Und auch die Erfindung des Films sieht McLuhan als Höhepunkt der Mechanisierung, die aus der industriellen Revolution hervorgegangen war: „Der Film brachte uns, durch bloße Beschleunigung der Mechanik, von der Welt der Folge und Verbindung zur Welt der schöpferischen Gestalt und Struktur. Die Botschaft des Mediums Film ist die des Übergangs von linearer Verbindung zur Gestalt. […] Wenn die elektrische Geschwindigkeit noch mehr von den mechanischen Filmsequenzen übernimmt, werden die Kraftlinien in Strukturen und Medien laut und deutlich. Wir kehren zur allumfassenden Form des Bildsymbols zurück“. Der Film stellt den technischen Höhepunkt der Serialisierung, der Aneinanderreihung und der Kontinuität dar, die die Botschaft des Mediums Buchdruck ist. Im Film ist diese Aufeinanderfolge der Einzelbilder so perfektioniert, dass sie als solche nicht mehr zu erkennen sind und wir nur noch den ablaufenden Film wahrnehmen.

Die elektrischen Medien, zu denen McLuhan in der Folge des Films das Radio und das Fernsehen zählt, bedeuten für unsere Gesellschaft etwas völlig Anderes, das wir mit unserer aus der Tradition des Gutenberg-Drucks stammenden rational-analytischen Herangehensweise nicht erklären können. Der Buchdruck hat unsere Gesellschaft so stark geprägt, dass wir von den ganzheitlichen Reizen der elektrischen Medien völlig überrumpelt worden sind. McLuhan betont dennoch, dass wir uns den Veränderungen, die diese Medien für unsere Gesellschaft bedeuten, nicht entziehen können. Aber wir können uns ihrer eigentlichen Botschaft bewusst werden und dieses Wissen für genauere Untersuchungen der Medien nutzen, bei denen es uns um das Medium selbst und nicht um seinen Inhalt geht.

Weiterlesen bei:
Marshall McLuhan: „Die magischen Kanäle. Understanding Media“, Düsseldorf u.a.: Econ 1992 [1964].

2 Kommentare:

  1. Schön ausgedeutscht ! Bravo & Danke !

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  2. Vielen Dank für diese anschauliche Zusammenfassung. Die Beispiele sind treffend gewählt und haben mir sehr geholfen.

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