Montag, 11. Januar 2010

Friedrich Kittler - Grammophone, Film, Typewriter (1987) (Marco)

Friedrich Kittler
Grammophon Film Typewriter (1985)


Kittler beginnt mit einem Blick in die Zukunft, der sich in unserer Gegenwart zunehmend bestätigt: Das Ende des Medienzeitalters durch die Digitalisierung der Medien. In die universelle Sprache des Binärcodes übersetzt werden sie beliebig ineinander und in sich transformierbar. Das Computerinterface täuscht uns als „Oberflächeneffekt“ eine saubere Trennung in Klang, Bild und Text als vor. Genau diese saubere Trennung vollziehen 100 Jahre zuvor drei Erfindungen: Phonograph (1877), Kinetoskop (1892) und Schreibmaschine (1865/1868) und läuten damit das Medienzeitalter ein.

Vor den technischen Medien waren Texte und Partituren die einzigen verfügbaren Zeitspeicher. Die Wirklichkeit wird selektiert und anschließend in Zeichen verschlüsselt. Ein serieller Datenfluß erzeugt eine symbolische Zeit in der nur überdauern kann, was encodierbar ist. Als physikalische Einschreibungen auf Wachsrolle und Zelluloid sind Phonograph und Kino dagegen völlig unselektiv. Nicht nur der Körper „hört auf, sich nicht selbst zu schreiben“, sondern er steht mitten im „Rauschen des Realen“ - nach Shannon und im eigentlichen Wortsinn. Selbst was nicht geschrieben werden soll oder kann hinterlässt nun doch Spuren - inklusive Unschärfen und Nebengeräuschen.
Erstmals ist es möglich, den Zeitfluß akustischer und optischer Daten selbst zu speichern und wiederzugeben. Davor war die einzige seine Gegenwart überdauernde Spur eines Individuums dessen Handschrift. Eine bleibende Einschreibung des Körpers auf Papier während Klang und Ansicht in den Zeichen verschwinden. Mit der Schreibmaschine wurde Schrift vom Individuum losgelöst und war nun reiner Text in standardisierten Typen, also reines Symbol - während umgekehrt Phonograph und Kino Bild und Klang selbst reproduzierten und aus der Welt der Symbole befreiten.

Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan unterteilt in seiner Lehre die Psyche in das Symbolische, das Imaginäre und das Reale. Kittler ordnet diesen Unterscheidungen die Medien (Standard)Text, (Stumm)Film und Klang zu.
Die Sphäre des Symbolischen mit ihrer Ordnung von Signifikanten zu Signifikaten ist die des Textes.
Im Imaginären erkennt sich das Subjekt im Spiegel als ein Ganzes obwohl es sich doch selbst zerstückelt wahrnimmt. Genau wie im Film Einzelbilder im Fluss der Vorführung eine Bewegung ergeben. Das Kino fungiert wie der Spiegel des Imaginären. Das Reale schließlich ist das Unsag- und Unfassbare, weder imaginär noch symbolisch. Das was der Phonograph speichert ist erstmal jenseits aller Bedeutung und damit ist es in der Sphäre des Realen.

Raphael Eduard Liesegang - Das Phototel (1891) (Sebastian)

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